Die Kommunikations- und Werbebranche trägt maßgeblich zur Wirtschaftsleistung des Landes bei. In Zahlen sind das 24 Milliarden Euro Jahresumsatz oder vier Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Aber es gibt einige Baustellen, für die die Branche notorisch bekannt ist. Geringe Einstiegsgehälter, ein beträchtlicher Gender-Pay-Gap, lange Arbeitszeiten und eine eklatante Ungleichverteilung der Geschäftsführer:innen-Posten unter den Geschlechtern. Aber der Reihe nach.
Gleiches Gehalt bei weniger Stunden
Während Inklusion und damit Augenhöhe und Wertschätzung starke Pfeiler der New Work-Entwicklung sind, hat sich in diesem Themenfeld vor allem die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen und -zeiten zum Zugpferd dieser Bewegung entwickelt. Gerade in der Agenturszene mit eher niedrigen, ausbildungsunabhängigen Einstiegsgehältern standen lange Arbeitszeiten oft an der Tagesordnung. Wer dem einen Riegel vorschieben möchte, ist die Wiener Niederlassung der internationalen PR-Agenturkette Grayling. Nicole Hall ist Managing Director und Head of HR am Wiener Standort. Das Vorurteil, in Agenturen ständig verfügbar sein zu müssen, will sie nicht gelten lassen: „Diese veralteten Vorstellungen entsprechen nicht unserem Verständnis einer modernen Agenturarbeit. Gute Leistung braucht nicht automatisch Überstunden.“
Konkret hat Hall mit ihrem Team 2022 die 32-Stunden-Woche eingeführt und will damit ein positives Signal an neue Talente schicken. Ein attraktiver Arbeitgeber zu sein sei in Zeiten des Arbeitskräftemangels enorm wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben: „Wir können für unsere Kunden nur dann ausgezeichnete Kommunikationsberatung sicherstellen, wenn wir die richtigen Menschen überzeugen können, in unser Team zu kommen und zu bleiben.“
Was Arbeitnehmer:innen überzeugen dürfte: Bei kürzerer Arbeitszeit bleibt das Gehalt gleich. Es gilt die 100:80:100 Formel: 100 Prozent Gehalt bei 80 Prozent der Stunden bei 100 Prozent der Leistung.
Eine Frage der Motivation und der richtigen Tools
Aber wie kann sich das ausgehen? 100 Prozent der Leistung, wenn doch nur mehr 80 Prozent der Zeit zur Verfügung stehen. Klingt ein bisschen nach der eierlegenden Wollmilchsau? „Das ist eine Frage der Motivation und des richtigen Projektmanagements. Wir arbeiten mit effizienten Tools und Methoden zur Beschleunigung von Prozessen und Abstimmungen und reduzieren Meetings und Doppelgleisigkeiten“, erklärt Hall.
Die Forschung gibt Hall Recht. Je nachdem, welche Studien man bemüht, ergibt sich eine durchschnittliche Netto-Arbeitszeit von vier bis sechs Arbeitsstunden pro regulärem Achtstundentag. Das hat mit der Konzentrationsfähigkeit und der Notwendigkeit von Pausen genauso zu tun wie mit psychologischen Komponenten. Wer sowieso fünf Tage die Woche acht Stunden „absitzen“ muss, um auf das Soll zu kommen, hat weniger Motivation, Tasks schnell abzuarbeiten. Meetings werden länger als notwendig, die Produktivität sinkt. Wenn konzentriertes Arbeiten zu einem weiteren freien Tag pro Woche führt, die Belohnung also unmittelbar spürbar und in greifbarer Nähe ist, fällt es leichter, am Ball zu bleiben.
Aus Pilot wird Normalität
Was sagen eigentlich Mitarbeiter:innen zur Arbeitszeitenänderung? „Die große Mehrheit des Teams war von Anfang an vom neuen Arbeitsmodell begeistert. Aber natürlich hat es auch kritische Stimmen gegeben. Hier war es besonders wichtig, diese mit guter Kommunikation abzuholen“, sagt Hall. In einer dreimonatigen Pilotphase wurde regelmäßig evaluiert, wie die Mitarbeiter:innen zurechtkommen. Anfang 2023 stand fest: Aus dem Pilotprojekt wird Normalität. Geschäftsführerin Sigrid Krupica verweist in einem Ende Jänner erschienenen Interview mit dem ÖGB auf die gesteigerte Zahl der Bewerbungen und mehr Zufriedenheit und Kreativität der Mitarbeiter:innen. „Wir haben insgesamt auch mehr Drive, da wir wissen, dass wir am Ende der 32 Stunden einfach mehr Zeit für uns haben“, sagt die Geschäftsführerin.
Mehr Empowerment und eine bessere Work-Life-Balance seien jetzt möglich, erklärt auch die HR-Leiterin Hall. „Wir setzen sehr stark auf die Eigenverantwortung und Flexibilität unseres Teams. So schaffen wir auch Spielraum für Menschen, die beispielsweise Kinderbetreuungs- oder Pflegepflichten haben.“ New Work ist in der Agenturszene also angekommen. Wie lange es dauert, bis der Rest von Österreich aus der ihr beschienenen „Steinzeit“ kommt, wird sich weisen. Wir bleiben optimistisch.
Von weiblichen Arbeitsbienen und männlicher Führung
Studien zur Geschlechterverteilung in der Werbebranche machen klar: Frauen stellen den Großteil der Belegschaft, aber im Management sind trotzdem die Männer in der großen Überzahl. 2010 waren in Deutschland im Management (General und Mittleres Management kombiniert) 26% aller in der Branche verankerten Männer tätig, aber nur 16% aller Frauen. Geschäftsführerpositionen teilten sich in Wien 2017 auf 26% Frauen und ganze 74% Männer auf: Je höher die Position, desto männlicher wird es.
Dass sich das wiederum auf die Unternehmenskultur und die Krönung von weiteren Männern zu Führungskräften auswirkt, ist auch längst bekannt. Menschen stellen Menschen ein, die ihnen ähnlich sind. Stichworte zu diesen Phänomenen lauten Unconscious Bias (Stereotypen und unbewusste Denkmuster), Gender Bias (ein Geschlecht wird mit bestimmten Vorurteilen behaftet wahrgenommen) oder Group Think (Gruppendynamiken beeinflussen Entscheidungsfindungen und lenken diese durch ungleiche Geschlechterparität in eine bestimmte Richtung). Der Fisch beginnt also am Kopf zu stinken, oder, um es charmanter auszudrücken: Wenn sich etwas ändern soll, muss es von ganz oben angestoßen und mitgetragen werden.
Generationswandel im Gang
Jana David-Wiedemann, CEO von BBDO erklärt den Ist-Zustand so: „Die Werbebranche ist noch immer auf den ersten Blick eine sehr stark von Männern bespielte Szene. Doch wenn man genau hinschaut, sieht man, dass immer mehr Frauen eine führende Rolle haben. Dieser zunehmende Mix ist ein Zeichen des Generationenwandels. Diese Veränderung zahlt definitiv auf ein viel mehr weibliches „Leadership“ ein. Für mich ist das schön zu beobachten. Bei BBDO Wien sind New Work, Flexibilität und Female Empowerment keine Trendwörter und es war bereits vor vielen Jahren selbstverständlich, eine ausgewogene Geschlechterverteilung in der Geschäftsleitung und anderen führenden Positionen zu haben.“
Das ist allerdings gar nicht so leicht. Bereits im Recruiting für jung Talente müsse daher ein Fokus auf Ausgeglichenheit herrschen. Wie kann so etwas gelingen?
„Wichtig ist, Karrieremöglichkeiten aktiv anzubieten und junge Talente von Beginn an – schon als Berufseinsteiger:innen – zu fördern. Wir müssen offen sein und Sensibilität für die Gesellschaft zeigen, sowohl bei der Suche nach neuen Teammitgliedern als auch bei ihrer fachlichen Bewertung“, sagt BBDO-Chefin David-Wiedemann.
Von Vorbildern und Vorlieben für den Ist-Zustand
Aber auch das Thema Rolemodels spielt in der Psyche der Arbeitnehmer:innen mit. Eine Frau an der Spitze zu haben, kann zu mehr Mut unter den Mitarbeiterinnen führen, sich für Führungspositionen zu bewerben. Außerdem wird das, was man / frau oft sieht, als normal und wünschenswert angenommen. Auch dieses Phänomen schmückt sich mit einem Bias-Begriff: Der Status Quo Bias, wonach Menschen eine übermäßige Bevorzugung des aktuellen Zustands gegenüber einer Veränderung haben. Dieser ist Mitgrund für die These, dass Quotenregelungen in gewissen Fällen helfen können, die Führungsstruktur aufzubrechen, wenn Frauen in Führung lang genug an der Spitze bleiben und Personalverantwortung haben. Aber zurück zur Kommunikationsbranche – wie ist das mit den Rolemodels und Female Empowerment? David-Wiedemann sieht, dass es definitiv „ein Vorteil meiner Rolle ist, andere Frauen durchs Vorleben zu bestärken – zuerst fördern und dann fordern. Wir haben den Anspruch unseren Mitarbeiter:innen fachlich, handwerklich, menschlich, im Miteinander, hinsichtlich der Führungsqualitäten viel mitzugeben. Also all diese Dinge, die uns bei der Arbeit und als Werte wichtig sind, möchten wir vermitteln.“
Diversität und Stillstand
Diversität im Unternehmen ist mühsam. Unterschiedliche Standpunkte, mehr Diskussionsbedarf, Reibereien bei Dingen, die in homogenen Teams nicht einmal Thema werden. So oder so ähnlich wird Diversität gerne betrachtet, wenn sich Menschen zu jener homogenen Gruppe zählen, die kaum bis nie mit Diskriminierung konfrontiert war und beim Schlagwort Diversity mit den Augen rollt.
Anders sehen das Menschen wie Manisha Joshi, Business Director und Head of Diversity & Inclusion bei Ketchum. Als woman of colour wurde ihr schon in der Kindheit bewusst, was es heißt, anders zu sein oder auszusehen. Beim Aussehen war aber lange noch nicht Schluss: „Mir wurde auch gesagt, ich bin zu motiviert, zu schnell, mein Team kommt nicht mit. Das hat mich frustriert. Und es hat mich zum Nachdenken gebracht. Kann man zu motiviert sein? Kann man zu kreativ sein?“
Gerade Frauen hätten es auch in der heutigen (Arbeits-) Welt immer noch mit vielen Klischees zu tun: „Eine junge Frau sollte einfach fleißig sein, keine allzu viele Fragen stellen und sich ein- / unterordnen. Also nicht zu sehr auffallen, nicht zu sehr präsent sein, am besten auch nicht zu sehr verändern wollen. Alles soll weiterhin so funktionieren, wie es bisher funktioniert hat.“ Aber wozu führt so etwas? „Stillstand“, sagt Joshi.
Rot-weiß-rote Steinzeit
Wer sich mit den News zu Diversität beschäftigt, weiß: Diversere Teams haben einen Wettbewerbsvorteil gegenüber homogenen Teams. Vor allem, wenn es um Kreativität und Innovation geht. Oder, wie es die Forscherin Katherine Phillips (Columbia University) bereits 2014 ausdrückte: „Diversity can improve the bottom line of companies and lead to unfettered discoveries and breakthrough innovations. Even simply being exposed to diversity can change the way you think.”
Fakt ist, dass Österreich im Bereich der Diversität einiges aufzuholen hat: „Wenn ich sehe, welche Richtlinien bereits jetzt in den USA oder in Großbritannien gelten, dann sind wir in Österreich noch in der Steinzeit“, sagt Joshi. „Ich bin froh, wenn ich überhaupt ein paar Menschen finde, die in Österreich in unserer Branche mit einem unterschiedlichen sozialen Background Fuß gefasst haben.“
Impact der Kommunikation
Sprache schafft Realität. Klingt platt, aber sogar dieser Stehsatz ist mittlerweile gut durch die Forschung gestützt. Weshalb Gendern, so anstrengend es immer noch für einige sein mag, ein guter erster Schritt auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Gesellschaft ist. Aber nicht jede:r spricht für sich selbst. Das ist die Daseinsberechtigung der Agenturen, die ihre Kund:innen kommunikativ unterstützen. Hier sieht Joshi einen großen Hebel für ihre Branche, Diversität zu fördern: „Wir beraten Unternehmen täglich, wie sie kommunizieren sollen, wie sie Vertrauen stiften, wie sie ihr Image aufbauen. Wir wollen auch dahingehend beraten, wie unsere Kunden Diversität leben und dadurch auch viel mehr Menschen ansprechen können. Wir müssen mutiger sein. Jede:r Einzelne:r von uns, aber vor allem auch Unternehmen.“