Eine der ersten Schauen, die versuchte, einen historischen Kontext für die afrikanische Kunst zu schaffen, war „Seven Stories About Modern Art in Africa“ (1995), in der Whitechapel Gallery im Londoner East End. Ein Leitfaden moderner afrikanischer Kunstgeschichte mit Arbeiten aus Nigeria, Sudan, Äthiopien, Südafrika, Kenia, Uganda und Senegal. Die Schau war vor allem den Schriften der aus Tansania stammenden Künstlerin Everlyn Nicodemus geschuldet, die darauf verwies, dass der kulturelle Austausch zwischen Afrika und Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein wechselseitiger Prozess gewesen sei.
Während europäische Künstler wie Matisse oder Picasso das formale Potenzial der afrikanischen Kunst erkundeten, experimentierten afrikanische Künstler:innen mit der Staffeleimalerei und der figurativen Darstellung im europäischen Stil. Daraus ergab sich ein Paradoxon: Was aus europäischer Sicht avantgardistisch war, war aus afrikanischer Sicht traditionell und umgekehrt.
Seither ist viel passiert, und es ist längst an der Zeit, auf die Kunstgeschichte aus einer anderen Perspektive zu blicken. Afrikanische und afroamerikanische Künstler arbeiten mit neuem Selbstbewusstsein, verhandeln Blackness, Identität, Freiheit, den Körper, Hip-Hop und Repräsentanz.
Ein bekannter Vorreiter ist unter anderem der afroamerikanische Künstler Kehinde Wiley, der auch Barack Obamas Porträt für die National Portrait Galerie in Washington schuf. Er inszeniert in großformatigen, barockartigen Porträts afroamerikanische Rap- und Sport-Stars wie Heilige und weltliche Herrscher selbstbewusst und mit Attributen der Macht. Anderseits spielt der in Los Angeles geborene Maler ironisch mit der in der Hip-Hop-Kultur verbreiteten Sehnsucht nach Erlöserfiguren und Märtyrern.
African Art: The Next Big Thing
Der African-Art-Boom hat auch zu enormen Investitionen auf dem Kontinent geführt. Es entstanden Kunstorte, Galerien und Produktionsgemeinschaften. In ganz Afrika finden immer mehr Kunstmessen, Biennalen und Ausstellungen statt.
Kapital fließt auch aus China und Asien, die, wie man weiß, eine starke ökonomische Verbindung zu Afrika pflegen. So gibt es mehr und mehr chinesische Sammler:innen, die ganz bewusst in zeitgenössische Kunst aus Afrika investieren, weil sie diese als „The Next Big Thing“ betrachten.
Auch wenn die afrikanische Kunstszene in Österreich überschaubar und naturgemäß kleiner ist als in Paris, London oder L.A., haben an der Akademie für Bildende Kunst in Wien zwei internationale Durchstarter ihre Anfänge. Beispielhaft: der in nur vier Jahren zum Superstar gekürte, aus Ghana stammende Amoako Boafo – er lebte und studierte bis 2019 in Wien.
Der künstlerische Einfluss, vor allem Egon Schieles, ist in seinen Werken reizvoll und durchaus bewusst sichtbar. In seinen überlebensgroßen Porträts, die eindringlich und unverwechselbar sind, lässt er oft den Pinsel beiseite und malt expressiv und mit freiem Fingern. Auch Boafos Porträts verhandeln Repräsentanz und Blackness. Seine Werke hängen mittlerweile in den wichtigsten internationalen Sammlungen und erzielen Höchstpreise, zuletzt satte (380.000 Pfund), bei Auktionen. Inzwischen ist der Künstler zurück in Ghana, um abseits des Kunstrummels zu arbeiten. Für Interviews ist er kaum mehr erreichbar, stattdessen baut er mit Stararchitekt David Adjaye ein Gemeinschaftsatelier-Haus, um junge Talente zu beherbergen.
Eine ähnlich steile Karriere wird dem 26-jährigen Franko-Senegalesen Alexandre Diop, gerade auch in Wien studierend, prognostiziert. Sein Talent und sein Charisma sind augenscheinlich und wurden vom international gut vernetzten Amir Shariat, ehemals Banker, heute Kunstmanager, unverzüglich erkannt. Diops Bilder bewegen sich zwischen Malerei und Skulptur, sie sind wild und radikal. Er bindet Alltagsgegenstände wie Fotografien, Metall und Holz,aber auch Feuer und elementare Dinge wie Rost und Tierhaare in seine Arbeiten ein. Ein Triptychon des jungen Malers wurde gerade von der Albertina angekauft. Auch österreichische Museen erkennen, dass es hier eine große Lücke zu füllen gilt.
Abbild einer neuen Generation
Boafo und Diop gibt es gemeinsam mit 22 Künstler:innen noch bis 10. April in der Kunsthalle Krems in „The New African Portraiture“ zu sehen. Der Kurator Ekow Eshun, in London beheimatet mit ghanaischen Wurzeln, sieht in der Schau den „Schnappschuss“ eines historischen Moments für die afrikanische Gegenwartskunst, die nicht nur mehr vom „Westen“ bestimmt wird. Die Themen der Bilder kreisen um Identität, kulturelle Verortung, Familie, Lifestyle und Helden und Heldinnen der People of Color.
Eine andere beeindruckende junge Künstlerin, die es im Oktober 2022 in der Birgit Lauda Art Foundation zu sehen gab, ist die aus Tansania stammende Sungi Mlengeya, 31-jährig und Autodidaktin. Ihre Arbeiten befassen sich mit dem schwarzen Frauenkörper und dessen Negativraum, der es Mlengeya ermöglicht, bestimmte Träume und Sehnsüchte vorzustellen. Auch sie zählt zur neuen Generation von Shootingstars der Szene.
Das alles ist erst der Anfang eines prosperierenden Kontinents und seiner vibrierenden Kreativszene mit kraftvollen Bildern und Ausdruckskraft – eine neue Blüte, ein neuer Blick.
Ausstellungen und Adressen
Noch bis zum 10.4.2023 zu sehen in der Kunsthalle Krems, www.kunsthalle.at
Samuel Fosso, www.museumdermoderne.at
Sungi Mlengeya, www.sungimlengeya.com
Birgit Lauda Art Foundation, www.b-la.com