Gemeinsam mit Frauen und Männern aus dem Gesundheits- und Sozialbereich arbeitet Magdalena Sattelberger an mehr Diversität in Gestaltungspositionen, Female Empowerment und Chancengleichheit. Gerda Damböck sprach mit ihr darüber, wie Gender Balance zu einer besseren Arbeitswelt für Männer und Frauen führt.
Lena (38) und ich kennen uns von einem beruflichen Projekt, das wir vor einigen Jahren gemeinsam abgewickelt haben. Lena ist Mama von zwei Kindern, geschäftsführende Gesellschafterin einer Boutiqueberatung und Expertin im Management von Gesundheitsorganisationen. Sie kennt das österreichische Gesundheits- und Sozialwesen. Unser Gespräch drehte sich daher schwerpunktmäßig um Lenas persönliche Erfahrungen, ihre Perspektive auf die Arbeitswelt bzw. Managementberatung und um Einblicke in Diversitätsthemen im Gesundheitsbereich.
Lena, als wir uns zuletzt gesehen haben, waren wir geschätzt gut zehn Jahre jünger. Gerade dieses vergangene Jahrzehnt habe ich persönlich als sehr prägend erlebt. Ich denke, die meisten Frauen setzen sich in dieser Phase ihres Lebens mit zentralen Fragen rund um Kinderwunsch, Familiengründung und Karrierepläne auseinander – und kommen dabei mit allerhand fremdgesteuerten Erwartungen in Berührung. Hast du das auch so erlebt?
Ja, definitiv. Als wir Eltern geworden sind, mussten wir unsere Rollen neu ausverhandeln. Dabei waren wir nicht nur zu zweit in der Verhandlung, von rundherum wurden wir mit Erwartungen und Rollenbildern konfrontiert. Was da alles unhinterfragt und beinahe automatisiert abläuft, war mir vorher nicht bewusst. In meinem Freundeskreis habe ich oft erlebt, dass bei vorher gleichberechtigten Paaren nach der Geburt eines Kindes ganz selbstverständlich die Frauen beruflich zurückstecken. Ich habe auch gemerkt, wie bei mir selbst tradierte Rollenbilder griffen. Ich habe mich damit dann sehr bewusst auseinandergesetzt und versucht, meine Bias zu hinterfragen, meine Bedürfnisse zu argumentieren und gemeinsam mit meinem Mann unseren Weg individuell – gegen den Druck gesellschaftlicher Normen – zu gestalten. Mir war immer klar, dass ich relativ rasch wieder arbeiten gehen wollte und gern verantwortungsvolle Aufgaben im Job übernehme.
Du bist aktuell Geschäftsführerin in einer Managementberatung für den Gesundheits- und Sozialbereich. Das klingt nach einer eindrucksvollen Karriere! Kannst du Beruf und Familie gut verbinden?
Ich bezeichne das Unternehmen gern als „perfect match“ für mich. Das Beratungsunternehmen wurde vor 30 Jahren gegründet. Es wurde immer danach eingestellt, welche Kompetenzen eine Person mitbringt und welchen Beitrag sie leisten kann. Niemand hat sich Gedanken darüber gemacht, ob eine Mitarbeiterin ausfällt, wenn sie Kinder bekommt – dementsprechend war es auch selbstverständlich, dass die Frau wieder zurück ins Unternehmen kommt. Im Unternehmen wird lebensphasenorientiertes Arbeiten einfach gelebt. Dadurch ist ein sehr diverses Team entstanden: unsere Kolleg*innen sind zwischen 22 und 68 Jahre alt, unterschiedlicher Herkunft und Orientierung, haben verschiedenste berufliche Hintergründe, viele davon arbeiten in Teilzeit. Was uns eint, ist die Motivation, das Gesundheits- und Sozialwesen in Österreich zu verbessern. Und ja: In einem bunten Team ist es manchmal anstrengender und der Alltag erfordert mehr Diskussionen, aber wir kommen zu extrem tragbaren und belastbaren Lösungen für unsere Kunden. Das sehen wir jeden Tag und motiviert uns stark.
Eine lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung zielt auf eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und anderen Lebensbereichen bzw. Interessen ab. Das kann mit flexiblen Arbeitszeiten und Arbeitsmodellen erreicht werden. Welches Potenzial siehst du darin?
Flexible Arbeitszeitgestaltung, v. a. Teilzeit, wird meiner Ansicht nach komplett unterschätzt. Ich denke, dass Menschen, die bewusst weniger als unsere österreichische Vollzeitarbeitszeit von 39 Stunden arbeiten, ein sehr gutes Gespür für ihre Kraftquellen und ihre Grenzen haben. Und häufig mehr sinnvolle Arbeit in weniger Stunden unterbringen. Für mich geht der Schlüssel nicht dahin, dass wir eine allgemeine 4-Tage-Woche einführen, sondern uns mit der Definition von Leistung auseinandersetzen. Wir müssen das Denken von „höher, schneller, weiter“ oder im Fall der Arbeitszeit „länger“ hinterfragen. Unsere zentrale Frage sollte sein, wie wir es schaffen, einen besseren Fußabdruck auf dieser Welt zu hinterlassen. Ich hänge der romantischen Idee an, dass sich Erfolg dadurch definiert, dass wir coole Projekte zum Besseren der Menschheit umsetzen – in unserem Fall zum Wohle der Patient*innen und ihrer Angehörigen und häufig des Steuerzahlers. Und damit hängt für mich auch zusammen, dass wir eine gute Arbeitgeberin sind und das Know-how unserer Mitarbeiter*innen im Unternehmen halten.
„Wie oft denken reine Männerrunden darüber nach, wie sie Frauen in die Führungsetagen oder nach der Karenz wieder in Beschäftigung bekommen können.”
Du bist in einer Branche tätig, die aktuell eine Reihe von Herausforderungen zu meistern hat. Welche Berührungspunkte siehst du zum Thema Diversity? Denkst du, dass mit diversen Teams bessere Lösungen erzielt werden könnten?
Ja, definitiv. Das Thema Diversity spielt sehr vielfältig in mein Berufsfeld hinein. Wir besprechen z. B. aktuell in einigen Projekten das dritte Geschlecht in der medizinischen Dokumentation. Für mich ist es jedes Mal wieder erschreckend, dass dieses Thema als Randthema abgetan wird und es in der Diskussion schnell unter die Gürtellinie geht, wenn keine (offensichtlich) betroffene Person mit am Tisch sitzt. Ich habe mir angewöhnt, dann die Perspektive einer betroffenen Person einzubringen. Allgemein finde ich es sehr problematisch, wenn über und nicht mit Menschen gesprochen wird. Auch in Bezug auf die Gender-Thematik: Wie oft denken reine Männerrunden darüber nach, wie sie Frauen in die Führungsetagen oder nach der Karenz wieder in Beschäftigung bekommen können. Meiner Meinung nach ist das ein Argument für die Quote. Wenn keine Frau mit am Tisch sitzt, kann die Perspektive nicht mitgedacht werden. Das Gleiche gilt für die anderen Dimensionen von Vielfalt. Und auch in die Gegenrichtung: Wir brauchen mehr Männer in der Pflege, in der Elementarpädagogik, etc.
Davon bin ich auch überzeugt: Ich kann keine Maßnahmen für jemand anderen schneidern. Es braucht den Austausch und die Diskussion. Wie würdest du das Thema Diversity in einem Unternehmen aufsetzen?
Für mich geht es weniger darum, zu fragen, welche Gruppen von Menschen im Unternehmen sind, sondern Diversity auf eine sehr individuelle Ebene herunterzubrechen. Ich gehe darauf ein, was jemand kann und mitbringt. Ich vertraue darauf, dass jede*r selbst am besten weiß, wie sie/er diese Kompetenzen einbringen kann und was ihr/ihm guttut. Nicht alle Männer und nicht alle Frauen haben die gleichen Bedürfnisse. Und das führt mich zu einer weiteren Dimension, die mich gerade sehr beschäftigt: der Gender Health Gap und die personalisierte Medizin. Es ist für mich kaum zu begreifen, dass wir als westliche Gesellschaft mit unserem Wissensstand gesunde Lebensjahre verschwenden und Männer z. B. fünf Jahre kürzer leben „müssen“, weil der permanente Stress im Job u. a. zu Herzkreislauferkrankungen führt.
Worüber ich auch in den vergangenen Monaten gelesen habe, ist die Tatsache, dass sich unsere Medizin am Mann orientiert. Kannst du darauf eingehen?
Gern. Die Wissenschaft allgemein und die Medizin im Speziellen orientieren sich am männlichen Normal. In den Anatomievorlesungen wird bis heute stärker auf den Männerkörper eingegangen, obwohl wir wissen, dass der Körper einer Frau anders funktioniert – z. B. im Hinblick auf Konstitution, Fett-Muskel-Relationen, Hormone. Medikamente wirken darum ganz unterschiedlich, dennoch setzt die Pharmaforschung zum Großteil auf männliche Probanden. Auch Krankheitsbilder werden gedanklich an Geschlechter gebunden: Bei Männern wird Brustkrebs dadurch z. B. seltener im Frühstadium erkannt, bei Frauen werden die von Männern abweichenden Symptome eines Herzinfarkts häufiger verkannt und führen öfter zum Tod. Gender-Medizin ist ein wichtiges Thema für beide Geschlechter. Das Ziel sollte eine moderne Individualmedizin sein, die Bias gezielt ausschaltet.
Stichworte Fachkräftemangel, Pflegenotstand – nochmal befeuert durch die Coronapandemie – welche Perspektiven liefert Diversity deiner Meinung nach?
Das Gesundheitswesen ist weiblich. Knapp 80 % der im Gesundheitsbereich tätigen Personen sind weiblich, in manchen Bereichen der Pflege sind es über 90 %. In Führungspositionen sind Frauen nur mehr zu 20 % vertreten, in der medizinischen Führung gar nur mit 10 %. Wenn Frauen nicht in Entscheidungspositionen repräsentiert sind, dann kann ich die Lebensrealitäten von Frauen wahrscheinlich nicht so gut erfassen und keine adäquaten Lösungen erarbeiten, um sie länger als sieben Jahre im Beruf zu halten. Ich denke, eine gute Balance würde in allen Berufsfeldern Sinn machen und Vorteile bringen. Damit verbunden würde sich auch der Gender Pay Gap lösen: Studien zeigen, dass immer dann, wenn Frauen ein Berufsfeld erobert haben, das Gehaltsschema in diesem gesunken ist. Der Beruf des Sekretärs war z. B. lange ein gut bezahlter und hoch angesehener Job – als es dann immer mehr Sekretärinnen gab, sanken Prestige und Gehalt. Ich bin überzeugt, dass mehr Gender Balance zu einer besseren Arbeitswelt für Männer und Frauen führt. Dann kann auch jede*r individuell entscheiden, welcher Beruf zu den eigenen Stärken und Vorstellungen von Arbeit passt.
Weiterführende Links
Frauen- und Gendergesundheit (sozialministerium.at)
Gender Medicine (meduniwien.ac.at)
Ein ganz neues Buch, vor Kurzem erstmals präsentiert
Fotocredits: privat